Markus Neuwirth: Jetzt. Michaela Niederkircher

Die Momentaufnahme lässt das Davor und das Danach grundsätzlich mitschwingen. Mit der Auswahl der Motive, der Blickwinkel, der Tonigkeit sowie der Licht- und Schattenmassen kann die Künstlerin jedoch Akzente setzen, die den Faktor „Zeit“ deutlicher ins Bewusstsein schieben. Dennoch verbleibt der arretierte Augenblick, das „Jetzt“, im Fokus. Lustvoll betritt Michaela Niederkircher diese Räume der verführerischen Stille, denen das Leben vorher und nachher anhaftet. Fotografie interveniert auf öffentlichen wie privaten Plätzen, zieht etwas heraus. Die Ablichtung demonstriert gegen die Beteiligungslosigkeit an dem Lauf der Dinge. Verschiedene Serien tasten sich an Themen heran, die unaufdringlich aber deutlich einen Keil in den Fluss der Ereignisse treiben.

Niederkircher schafft Bühnen, auf denen der Vorhang geöffnet wird zwischen den Akten. In ihren Interieurs gerät das Abtasten der Dinge zur minutiösen Suche nach der verlorenen Zeit, um sie wiedergewinnen zu können. An den Gebrauchsspuren, an den vergilbten Tapeten sieht man, in Licht und Tonigkeit getaucht, dass das Leben schon mal lebhafter gewesen sein muss. Die Künstlerin tritt in den gelebten, verlassenen Raum ein. Den Kammern und Innenwelten merkt man die Vergangenheit an. Die Patina hat sich über die Vitalität und Aktivität gelegt. Aber nicht hämisch, sondern fast neutral, schildern die Aufnahmen Reste und werden damit berührend. Das hingeworfene Bettzeug, dessen Letztbenützung ein Fragezeichen aufwirft, lässt erahnen, dass die Sachen einer Toten gehören. Was zufällig fiel, bleibt länger gefallen. Die Welt vor dem Nachlassverfahren ist fast immer ein Innehalten, das oft anhalten kann.

Ein Spiegel eröffnet Wege in die dritte Dimension. Allerdings ist es auch ein Reflektieren im Sinne von Gedankenwegen. In jedem Fall entsteht auf diese Weise Tiefe und Tiefgang. Die Banalität von zwei Waschbecken nebeneinander hebt sich auf, wenn man in Rechnung nimmt, dass diese Konstruktion erst notwendig wird, wenn mehrere oder zumindest zwei Menschen flott in den Tag starten müssen. Allerdings macht es nur Sinn, wenn Intimität gewährt ist. Zuerst ist das eine Waschbecken zwecklos geworden. Die Intimität geht ins Leere. Nun ist ihnen auch der letzte Mensch ihres Zwecks genommen. Diese Humanität ohne Menschen verfolgt die Strategie der Erinnerungsspuren, die mit der Linse Tatbestände dokumentiert.

Text: Markus Neuwirth



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